Die vom Bundesverfassungsgericht zur Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug entwickelten Maßgaben können auch auf die Zwangsbehandlung im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung übertragen werden. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit veröffentlichtem Beschluss bekräftigt und die Rechtsgrundlage für die medizinische Zwangsbehandlung im Psychischkrankengesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern in der bis zum 30. Juli 2016 gültigen Fassung für mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig erklärt.
Sachverhalt:
Im Juli 2014 wurde die Beschwerdeführerin in die geschlossene Abteilung eines Klinikums eingewiesen und ihre vorläufige Unterbringung richterlich angeordnet. Das Gericht führte zur Begründung aus, die Beschwerdeführerin leide an halluzinatorischer Schizophrenie, es bestehe eine gegenwärtige erhebliche Gefahr für eine Selbstschädigung. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beschwerdeführerin blieb erfolglos, wobei sie in der Folgezeit rügte, dass das Gericht sich nicht zur Zulässigkeit der - aus ihrer Sicht rechtswidrigen - Zwangsmedikation geäußert habe, die bereits einmal gewaltsam an ihr durchgeführt worden sei. Daraufhin genehmigte das zuständige Amtsgericht auf Grundlage von § 23 des Psychischkrankengesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (PsychKG M-V) „die Verabreichung einer Depotspritze mit dem Medikament Olanzapin Depot (Zypadhera) betreuungsgerichtlich“. Zwar bestünden im Hinblick auf Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 23 PsychKG M-V, und der Gesetzgeber habe eine Anpassung des PsychKG M-V an diese Rechtsprechung erwogen. Dies könne jedoch nicht dazu führen, krankheitsuneinsichtigen geschlossen untergebrachten Patienten die notwendige ärztliche Heilbehandlung zu versagen. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen diesen Beschluss und gegen die medizinische Zwangsbehandlung auf Grundlage von § 23 PsychKG-MV. Diese Vorschrift ist in der Zwischenzeit außer Kraft gesetzt und neu gefasst worden. Ähnliche Vorschriften gibt es aber noch in drei anderen Bundesländern.
Wesentliche Erwägungen des Senats:
Der angegriffene Beschluss verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgen darüber hinaus materielle Anforderungen an die Rechtsgrundlage. Die Vorschrift muss den Zweck oder die Zwecke, die einen Eingriff rechtfertigen sollen, abschließend bestimmen. Eine gesetzliche Grundlage zur Durchführung der Zwangsbehandlung muss ferner festlegen, dass eine solche nur durchgeführt werden darf, wenn sie im Hinblick auf das Behandlungsziel Erfolg verspricht. Überdies darf eine medizinische Zwangsbehandlung nur als letztes Mittel vorgesehen sein, wenn mildere Mittel nicht in Betracht kommen. Für eine medikamentöse Zwangsbehandlung zur Erreichung des Ziels, die Unterbringung möglichst bald zu beenden, bedeutet dies erstens, dass eine weniger eingreifende Behandlung aussichtslos sein muss. Zweitens muss der Zwangsbehandlung, soweit der Betroffene gesprächsfähig ist, der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks unternommene Versuch vorausgegangen sein, seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung zu erlangen. Über die Erfordernisse der Geeignetheit und Erforderlichkeit hinaus dürfen mit der Zwangsbehandlung auch keine Belastungen verbunden sein, die außer Verhältnis zu dem erwartbaren Nutzen stehen. Die Angemessenheit einer Zwangsbehandlung ist nur gewahrt, wenn, unter Berücksichtigung der jeweiligen Wahrscheinlichkeiten, der zu erwartende Nutzen der Behandlung den möglichen Schaden der Nichtbehandlung überwiegt.
Bundesverfassungsgericht, 2 BvR 2003/14
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